“Deshalb ist es für die Menschen so schwierig, sich in die Gedanken der Gnosis hineinzuversetzen. Denn die Gnosis setzt wahrhaftig alles, was gar nicht irgendwie an das Materielle erinnert, zunächst an den Ausgangspunkt ihrer Weltbetrachtung.
Vielleicht wird sich sogar ein Geist, der so recht in der Gegenwartsbildung drinnensteckt, eines leisen Lächelns nicht enthalten können, wenn ihm im Sinne der Gnosis zugemutet wird, zu denken, daß die Welt, in der er sich befindet, daß diese Welt gar
nichts zu tun haben soll mit dem, was in Wirklichkeit die Urgründe unserer Welt darstellt. Eines leisen Lächelns wird sich der heutige Mensch, der in der Gegenwartsbildung drinnensteckt, wirklich nicht enthalten können. In dem göttlichen Urvater liegt
das, was der Weltengrund genannt werden kann. Und gleichsam von ihm ausgehend, ihm zur Seite, ist erst dasjenige, wozu die Seele sich hindurchringen kann, wenn sie abseits aller materialistischen Vorstellungen ein wenig nur ihr Tiefstes sucht:
Schweigen, das unendliche Schweigen, in dem noch nicht Zeit und Raum ist, sondern nur Schweigsamkeit ist. Zu dem Paar des Urvaters der Welt und des Schweigens, das noch vor Raum und Zeit ist, schaute der Gnostiker auf, und dann ließ er hervorgehen
gleichsam aus der Vermählung des Urvaters mit dem Schweigen andere — man kann sie ebensogut Welten wie Wesen nennen. Und aus diesen wieder andere und wieder andere und wieder andere, und so durch dreißig Stufen hindurch. Auf der dreißigsten Stufe steht
es erst, eigentlich auf der einunddreißigsten; denn dreißig solche Wesenheiten, die man ebensogut Welten wie Wesenheiten nennen kann, gehen voran dieser Welt. Äon ist der Ausdruck, den man gewöhnlich annimmt für diese dreißig unserer Welt vorangehenden
Wesenheiten oder Welten. Man bekommt nur dann eine Vorstellung von dem, was mit dieser Äonenwelt gemeint ist, wenn man sich klar und deutlich sagt: Nicht nur das, was die Sinne wahrnehmen, was du deine Welt um dich herum nennst, gehört sozusagen der
einunddreißigsten Welt an, sondern auch das, was du aufbringst als physischer Mensch mit deinen Gedanken als Erklärungen dieser Welt, gehört dieser einunddreißigsten Stufe an. Es ist ja noch leicht, sich abzufinden mit einer spirituellen Weltanschauung,
wenn man sagt: Nun ja, die äußere Welt ist ja allerdings Maja, aber durch unser Denken dringen wir in die geistige Welt ein —, und wenn man dann die Hoffnung hat, daß dieses Denken wirklich hinaufkommen kann in die geistigen Welten. Das war aber nach
der Ansicht der Gnostiker nicht der Fall. Dieses Denken gehört zum einunddreißigsten Äon, zur physischen Welt, nach der Ansicht der Gnostiker. So daß zunächst nicht nur der sinnlich wahrnehmende, sondern auch der denkende Mensch herausversetzt war aus
den dreißig Äonen, die stufenweise aufwärts angeschaut werden können durch die geistige Entwicklung und die in immer größerer und größerer Vollkommenheit sich darstellen. Man braucht wirklich nur sich einmal hineinzuversetzen in das Lächeln, das einem
heutigen, auf der Höhe seiner Zeit stehenden Monisten sich abringt, wenn man ihm zumutet, zu glauben: Dreißig Welten gehen voran, in denen etwas ganz anderes ist, als du selbst zu denken vermagst. — Das aber war die Anschauung der Gnostiker.
—, aber wir wollen uns in diese Gnosis versetzen. Die umliegende Welt, auch mit dem, was der Mensch über sie denken kann, warum ist sie denn abgeschlossen von den dreißig Äonen? — Da muß man hinblicken, sagte sich der Gnostiker, auf den untersten, aber
noch rein geistigen Äon. Was ist da vorhanden? Da ist vorhanden die göttliche Sophia, die göttliche Weisheit. In geistiger Art abstammend durch die 29 Stufen hindurch, zu dem höchsten Äon schaute sie hinauf innerhalb der geistigen Welt, zu dieser Reihe
der geistigen Wesenheiten oder Welten. Aber es wurde ihr eines Tages, eines Weltentages, klar, daß sie etwas von sich auszusondern habe, wenn sie den freien Ausblick erhalten wollte in die geistige Welt der Äonen. Und sie sonderte von sich aus dasjenige,
was in ihr vorhanden war als Begierde. Und das, was fortan nicht mehr in ihr vorhanden ist, in dieser göttlichen Sophia, in dieser göttlichen Weisheit, das irrt nunmehr herum in der Raumeswelt, das durchdringt alles Werden der Raumeswelt. Es lebt nicht
nur in der Sinneswahrnehmung, es lebt auch im Menschendenken, lebt da mit der Sehnsucht nach der geistigen Welt, lebt aber doch wie ausgeworfen in die menschlichen Seelen. Gleichsam als die andere Seite, das Ebenbild, aber als das in die Außenseite
geworfene Ebenbild der göttlichen Sophia lebt die Begierde, die in alles hineingeworfen ist, die Welt durchdringend: Achamod. Schaust du in deine Welt, ohne dich aufzuschwingen in die geistigen Welten, so schaust du in die begierdenerfüllte Welt von
Achamod. Weil sie die von Begierden erfüllte Welt ist, deshalb kann sich in ihr zunächst nicht darstellen, was sich als Ausblick ergibt in die Welt der Äonen.
Weit, weit zurückliegend in der Welt der Äonen, erzeugt aus der reinen Geistigkeit der Äonen heraus, dachte sich die Gnosis, was sie nannte den Sohn des Vatergottes, und auch das, was sie nannte den reinen, Heiligen Geist. So daß wir in ihnen gleichsam
eine andere Generationsreihe, eine andere Reihe der Entwickelung haben als diejenige, die dann zu der göttlichen Sophia geführt hat. Wie sich im physischen Leben in der Fortpflanzungsströmung die Geschlechter sondern, so sonderte sich einmal im Fortgang
der Äonen, durchaus auf einer Hochstufe der geistigen Welt, eine andere Strömung heraus, die Strömung des vom Vater stammenden Sohngeistes und des Heiligen Geistes. So daß man fließend hat in der Welt der Äonen das, was auf der einen Seite zur göttlichen
Sophia führte und auf der anderen Seite zum Sohngeist und Heiligen Geist. Wenn man hinaufgeht durch die Äonen, so begegnet man einmal einem Äon, von dem abstammt auf der einen Seite die Äonenfolge, die dann zur göttlichen Sophia hinführte, wie auf der
Seite die Äonenfolge, von der abstammen der Gottessohn und der Heilige Geist. Dann kommen wir hinauf zum Vatergott und dem göttlichen Schweigen.
Dadurch nun, daß die menschliche Seele mit Achamod versetzt ist in die materielle Welt, dadurch lebt in ihr im Sinne der Gnosis die Sehnsucht nach der geistigen Welt, lebt in ihr vor allen Dingen die Sehnsucht nach der göttlichen Sophia, nach der
göttlichen Weisheit, von der sie aber durch ihr Erfülltsein mit Achamod getrennt ist. Dieses Gefühl der Trennung von der göttlichen Äonenwelt, dieses Gefühl, nicht in dem Göttlich-Geistigen zu sein, das wird nach der Anschauung der Gnostiker als die
materielle Welt empfunden. Und abstammend von der göttlich-geistigen Welt, doch verbunden mit Achamod, erscheint der Gnosis das, was man nennen könnte, an die griechische Sprache sich anlehnend, den Weltenbaumeister, den Demiurgos. Dieser Demiurgos
, dieser Weltenbaumeister, ist der eigentliche Durchschöpfer und Durcherhalter dessen, was von Achamod und dem Materiellen durchzogen ist. In seine Welt sind einverflochten die Menschenseelen. Die Menschenseelen sind einverflochten mit ihrer Sehnsucht
zunächst nach der göttlichen Sophia, und in der Welt der Äonen erscheint rein göttlich- geistig, wie in der Ferne, der Gottessohn und der Heilige Geist, aber nur für den, der — im Sinne der Gnosis — sich erhebt über all das, in das hinein Achamod, die
im Raume schweifende Begierde, einverleibt ist.
Warum ist in den Seelen, die in die Welt der Achamod versetzt sind, doch die Sehnsucht? Warum fühlen sie nach der Trennung von der göttlich-geistigen Welt die Sehnsucht nach der göttlichgeistigen Welt? Auch diese Frage legte sich die Gnosis vor, und sie
sagte: Achamod ist herausgeworfen aus der göttlichen Weisheit, der göttlichen Sophia; aber bevor sie diese völlig materielle Welt wurde, in der der Mensch jetzt lebt, kam ihr wie eine kurze Überstrahlung ein Licht von dem Gottessohn, das gleich wieder
verschwand. Das ist ein wichtiger Begriff der Gnostiker, daß Achamod, wie sie in den Menschenseelen lebt, ansichtig wurde in urferner Vergangenheit des Gotteslichtes, das ihr nur gleich wiederum entschwunden war. Aber die Erinnerung lebt jetzt in der
Menschenseele, wie sehr sie auch verstrickt sein kann in die materielle Welt. In der Welt der Achamod lebe ich — so hätte eine solche Seele sagen können — in der materiellen Welt. Mit einer Hülle bin ich umgeben, die dieser materiellen Welt entnommen
ist. Aber indem ich mich in mich versenke, lebt in mir eine Erinnerung auf. Das, was mich gefesselt hält an die materielle Welt, sehnt sich nach der göttlichen Sophia, nach der göttlichen Weisheit, weil das Wesen Achamod, das in mir lebt, einstmals
überleuchtet worden ist von dem Gottessohn, der in der Welt der Äonen lebt. — Man mache sich diese Verfassung einer Seele, die sozusagen eine Schülerseele der Gnostiker war, einmal klar. Solche Seelen lebten; sie sind nicht eine hypothetische
Konstruktion, sie lebten. Und die verständig schauenden Geschichtsforscher werden durch äußere Dokumente darauf kommen, daß zahlreiche solche Seelen gelebt haben in jener Zeit, von der wir eben sprechen. (Rudolf Steiner)(über die Gnosis) [11380]
Allerdings wird die Gnosis die größten Dienste für das Heil der Seelen dann leisten, wenn die gnostische Stimmung angewendet wird für den Spiritualismus. Man könnte sagen: Die Gnosis ist im Spiritualismus so recht zu Hause. Sie ist da in «ihrem»
Hause. Sie ist außer ihrem Hause in den anderen Weltanschauungsbildern. Logisch hat man nicht die Berechtigung zu sagen, es könnte keine materialistische Gnostik geben. Die Pedanten der Begriffe und Ideen werden mit solchen Dingen leichter fertig als
die gesunden Logiker, die es etwas komplizierter haben. Man könnte zum Beispiel sagen: Ich will nichts anderes Gnosis nennen, als was in den Geist eindringt. Das ist eine willkürliche Begriffsbestimmung, ist ebenso willkürlich, wie wenn jemand sagen
würde: Veilchen habe ich bis jetzt nur in Österreich gesehen, also nenne ich Veilchen nur das, was in Österreich wächst und die Veilchenfarbe hat, anderes nicht. Logisch ist es ebenso unmöglich zu sagen, Gnosis gebe es nur im Weltanschauungsbilde des
Spiritualismus; denn Gnosis ist ein «Planet», der die Geistes-Sternbilder durchläuft. (Rudolf Steiner)(über die Gnosis) /(Gnosis) [11381]”

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